Man drückt einer Sache seinen Stempel auf. Man stempelt ihn mit dieser Aussage zum Lügner. Stempel sind auch heute noch wichtig im Zusammenhang mit Amtlichem. Sie waren in meiner Jugend ein beliebtes Spielzeug, wir verwendeten Mohnkapseln, um damit „Dokumente“ zu beglaubigen.
Stempel sind eine Sache. Sie können nicht gut oder schlecht sein. Warum habe ich das Wort dennoch so ungern, frage ich mich schon seit längerem. Da ist einmal der sogenannte Judenstempel, den der Beamte Rothmund den Nazis anbot, damit die Schweizer Grenzwächter jüdische Flüchtlinge sogleich erkennen konnten. Das „J“, blutrot in die Pässe der Flüchtenden gestempelt, verurteilte damals manchen dieser Menschen zum Tode.
Wir neigen dazu, Urteile zu fällen, ohne genaue Kenntnis der Umstände. Wir urteilen, wir stempeln ab. Ich sehe die Postbeamten hinter den Schaltern mit den Ärmelschonern über den Hemdärmeln, wie sie genüsslich grosse Bogen vor sich hatten, sie auf die harte Unterlage schoben und zu stempeln anfingen, bis der ganze Bogen fertig gestempelt war! Abstempeln wird heute von einem Automaten besorgt. Der Automat stempelt auch ohne Kenntnis ab. Aber er ist kein Mensch.
Ein Mensch, der dazu neigt zu übertreiben, Unwahrheiten zu verbreiten, über andere zu lästern, wird als Lügner abgestempelt. Ist er ein Lügner? Vielleicht nur geltungssüchtig, vielleicht ist seine Art Humor nicht die unsere. Die Stempeleindrücke, die wir wissentlich und unwissentlich verteilen, verbreiten viel Ungesundes. Lassen wir die Finger von wertenden Stempeln. Oder, wie meine Grossmutter zu sagen pflegte, kehren wir vor der eigenen Haustüre.
Ich habe vor, hier gelegentlich über Ausdrücke nachzudenken, die mich beschäftigen, und die mir sogar zuwider sind!
Vorher aber werde ich mich um fröhlichere Lesestücke bemühen, solche mit einem ganz und gar positiven Stempel!