Da ruft die kleine Nina vom Nachbarhaus mir kürzlich zu “ ich bin jetzt schon im ersten Kindergarten, und ich kann schon ganz viele Buchstaben“. Ich staune pflichtgemäss und lobe ebenso. Und als ich mich von Nina verabschiedet und der jungen Mutter meine Referenz erwiesen habe, beginne ich nachzudenken.
Dieser Vorgang findet bei mir eigentlich morgens unter dem Duschwasser statt. Wenn es so schön herunterprasselt, gleichförmig und angenehm warm, wenn nichts und niemand zu mir vordringt, dann beginnen die grauen Zellen sich zu recken und zu strecken. Und dann wird da oben unter dem Duschregen die Welt verbessert. Da ist dann alles nachhaltig und CO2 neutral, verbessert, idealer, freundlicher und flexibler. Hört das Wasser auf zu prasseln – man darf es ja nicht übertreiben – so hört auch das Nachdenken auf, und der Tag beginnt mit dem morgendlichen langweiligen Ritual, abtrocknen, eincremen, Zähne putzen, Morgenessen und so weiter.
Heute aber kommt ein weiterer Punkt meiner Relativitätstheorie ins Nachdenken. Wenn Nina mit vier Jahren schon Buchstaben kann, „kann“ sie wohl mit sechs Jahren lesen und schreiben und vermutlich eine Dreisatzrechnung bevor sie neun Jahre alt wird. Mit elf werden dann die weiter führende Erziehung und Schulung zum Mittelpunkt der Überlegungen. Und wann, so frage ich mich, hatte Nina Zeit, mit Puppen zu spielen. Sie ging zum Ballett Unterricht, lernte Flöte und dann Gitarre, sie durfte zu Kindergeburtstagen ins MacD oder in die Kino Vorstellung. Sie lernte Skifahren und Schwimmen. Und wann, wann denn überhaupt, war sie ein unbeschwertes Kind. Die Pubertät kam früh, die Aufgaben mehrten sich, man wusste vieles… vermisste man etwas?
Also Kindheit abgekürzt: Und andererseits das Alter verlängert. Da sind wir, die Alten, seit über 20 Jahren pensioniert, mit so vielen Privilegien, so vielen Möglichkeiten, so vielen Angeboten. Und doch, muss das sein, frage ich mich unter der nächsten Dusche, so kurz Kind sein und so lange alt bleiben?