Ein Bekannter, Ex Banker mit Hang zum Philosophieren, schreibt statt einer Festtagskarte, er stelle seine guten Wünsche im Internet unter „die Herrschaft der Liebe“. Ach, wie schrecklich, ach wie scheusslich! Wie kann man die Liebe beherrschen, noch teuflischer: wie soll die Liebe herrschen? Liebe gibt, Liebe nimmt an, Liebe ist, Liebe mag, Liebe kann, Liebe darf, Liebe verzeiht. Liebe (be)herrscht nicht, Liebe schreibt nicht vor, Liebe muss nicht, Liebe soll nicht, Liebe stört nicht, Liebe setzt sich nicht durch.
Andererseits: was müssen wir in diesen Tagen alles lesen und sehen, das vom Konsum unter dem Begriff Liebe verkauft werden soll! Da erhalte ich einen „Adventskalender“ mit 24 guten Taten, eine pro Tag, wie bei den Pfadfindern! Was soll das? Ich kann eine Alleinstehende auch am 14. März anrufen und fragen, wie es ihr geht, einfach, weil ich an sie denke! Es muss doch nicht Advent sein, und ich muss nicht diese dunkle Zeit mit wenig Sonne mit Geschenken und Lichtern und vorgeschriebenen Liebesbeweisen füllen. Oder muss ich?
Ich bin jetzt so alt geworden und habe einen guten Teil der Lebenszeit damit verbracht zu sollen, zu müssen, zu sollen und wieder zu müssen. Das Müssen ginge ja noch, da ist ein solcher Zwang dahinter, man kann sich nicht entziehen. Aber die „Soll-Aufgaben“, die könnte man allesamt streichen. Man sollte ja wieder einmal die Frau XXY einladen, den Vetter Theo mit ins Theater nehmen, einen Brief an die Jolanda in USA schreiben, man sollte jetzt jäten, sauber machen, Fenster putzen unendlich lange Liste von Sollen!
Janina und ich haben beschlossen: wir sollten nicht mehr. Wenn wir etwas tun, dann wollen wir es tun, dann bringt es uns und dem Tun, dem Getanen etwas.
Mein Vater hat mir vor 75 Jahren in mein Poesie Album das Gedicht von Tagore geschrieben, das mit den Worten endet: „und siehe, die Pflicht war Freude“! Sehr jüdisch diese Ansicht des indischen Philosophen, sehr menschlich dazu: Pflichten sind Freuden. In diesem Sinne sollte ich jetzt das Abendbrot richten. Hungrig, wie ich bin, freut es mich darauf!
Wichtig ist doch, dass wir überhaupt sehen wo wir unsere Liebe verschenken können. Da spielt es keine Rolle, ob Advent, Weihnachten, Ostern oder Geburtstag ist – Hauptsache ist doch, dass die Liebe oder die Hilfe von Herzen kommt und ehrlich gemeint ist. Diese Inflationsliebe zu Weihnachten scheint mir oft aufgesetzt – aber da sind wir ja einer Meinung.
Liebe Grüße
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Danke Piri, wie recht Du doch wieder einmal hast. Ich gehe einig mit dir und nehme die Zeit wie sie kommt. Mit viel gutem Willen, jeden „sein zu lassen“ – wie es ihm/ihr gefällt!
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