Claudine erzählt:
Herr Klein ist tot. In der Stadt tuschelt man, spricht man, schreibt man, wenn man beim Tagblatt arbeitet, man bespricht sich, wie es wohl mit dem Erbe sein wird. Es herrscht kleinstädtische Unruhe. Herr Klein, jüdischer Stickerei Unternehmer, Gründungsmitglied des Tennisclubs, Anhänger des Fussballclubs, Freund des Kegelclubs, ein Mann von Bedeutung also, sei plötzlich gestorben. Es ist ein heisser Samstag Vormittag im Juni. Die ersten Rosen blühen in den Gärten, die frühsommerliche Hitze lässt die Luft zum ersten Mal im Jahr sirren. In diesem sommerlichen Brutkasten setzt sich Nora mit ihrem Leid auseinander.
Ich sei doch ihre beste Freundin hat sie am Telefon erschüttert gesagt. Ich gehe nicht an die Beerdigung. Später in einigen Wochen werde ich zu Nora fahren, mit ihr in der alten Wohnung an der Bergmannstrasse an die gemeinsame Kindheit denken. Sie wird bestimmt ein Andenken finden, das sie mir mit geben will. Und sie wird mir erzählen, wie sie umgeht mit dem Verlust ihres Vaters.
Herr Klein war eine starke Persönlichkeit. Die kleine Nora hatte immer Angst vor ihm. Auch die junge Frau, die mit dem nichtsnutzigen Carlo verheiratet war, konnte sich nie gegen den übermächtigen Vater durchsetzen. Herr Klein hat auch den Schwiegersohn klein gemacht, wie alle seine Angestellten. Mein Papa hatte eine Patientin, Fräulein Agnesser, sie konnte nur noch schlecht sehen. Sie arbeitete bei Klein in der Nachstickerei. Mein Papa hat ihr nahegelegt, die Arbeit aufzugeben, wegen der Augen. Doch das Fräulein Agnesser, wollte nichts hören! „Aber Herr Doktor,“ sagte sie zu Papa, „das würde Herr Klein gar nicht wollen. Ich mache die schönsten Taschentuchfiguren in der Firma. Ohne mich ginge es nicht!“ Mein Papa meinte, sie halte ihre Arbeit ganz über dem Busen und neige die Augen zu nah daran. Bis sie achtzig war, hat sie weiter gearbeitet. Herr Klein hat die kugelige Frau ins Herz geschlossen, und ihr wie vielen anderen der „Fräuleins“ in seiner Unternehmung allmonatlich aus seinem privaten Fond einen Zustupf gegeben.
Papa hat jetzt eine gut gehende Augenarzt Praxis am Marktplatz- Meine Eltern haben sich ein hübsches Einfamilienhaus gebaut, meine Geschwister haben noch dort gewohnt, während ich bereits mein Studium angefangen hatte. Als ich im Kindergarten war, lebte ich auch an der Bergmannstrasse, einfach einen Stock über den Kleins in dem Dreifamilienhaus, mit den Jugendstil Ornamenten an den Mauern, dem gepflegten Garten rundherum und den gestrengen Hausmeistern.
Nora und ich besuchten denselben Kindergarten. Täglich marschierten wir, mit unsere Schürzen umgebunden, ein paar hundert Meter zum alten Haus, wo kleine Stühle und Tische, eine Eisenbahn, viele Bücher und Puppen, sowie Fräulein Egli mit ihrer rauen Stimme auf uns warteten. Wir wussten beide, man durfte ja nicht zu spät kommen. Manchmal war dies für Nora schwierig: Fredi und Theo lauerten ihr auf den letzten Schritten auf und drohten, sie zu verdreschen. Verängstigt kauerte die kleine Person mit den dunklen Zöpfen hinter einer Sandkiste und wartete, bis die beiden Buben um die Ecke waren. Mit rotem Kopf und ausser Atem erschien Nora dann noch knapp zur Zeit, dennoch mit einem strafenden Blick der Kindergärtnerin bedacht.
Überhaupt litt Nora hat immer. Ich schaute einfach zu, Was sollte ich mich einmischen. Sie war ja lieb und nett, aber eben einfach – anders!
Und deshalb werde ich auch dieser Monster Beerdigung des Herrn Klein fernbleiben. Nora wird Mittelpunkt einer grossen, vermischten Gesellschaft sein. Sie wir mich dann vermissen, wenn sie daran geht, die alte Wohnung zu räumen.
Erzähl mehr von deinen Erinnerungen, sie sind so lebendig und ich kann mir die Menschen vorstellen.
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Liebe Piri
Heute war ich mit den Kollegen/Kolleginnen von den Senioren walken. Sturm Sabine hat uns den Weg (sicher) gewiesen, und wir sind Kaffee trinken gegangen. Bei Kaffee und Croissants habe ich erzähle, und habe die gleiche Aufforderung wie von Dir erhalten. Ich habe mich SEHR gefreut. Da sind unzählige Geschichten in meinem Laptop. Du hast mich ermuntert, diese hie und da zu streuen, zwischen die „aktuellen. Danke für diese unglaublich hilfreiche Aufmunterung!
Weiterhin viele Wünsche für Dich und Du bist in meinen Gedanken!
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