Es war an dem Tag in meinem Leben, als mir erstmals eine junge Frau im Tram ihren Platz anbot. Verwirrt stotterte ich, das sei doch wirklich nicht…, aber sie war schon aufgestanden, hatte auf dem Platz davor ein Kleinkind auf den Schoss genommen während sie sich setzte. Das Tram war sehr voll. Eine Gruppe Kindergärtler unter Aufsicht von drei jungen Frauen lärmte und murmelte abwechselnd dem Scheppern des Trams entgegen. Es war doch erst gestern gewesen, wo ich aufstand und einer grauhaarigen Dame Platz machte. Oder war es doch vorgestern? Ich beobachtete die Kleinen, die müde von ihrem Ausflug in den Zoo das Tram besetzt hielten.
Da fiel mein Blick auf einen Schwanz, oder mindestens sah es aus wie der Schwanz eines exotischen Tieres, eines Steppenhundes, vielleicht, oder ein Tiger ohne Streifen? Das Ding hing – so schien es mir – aus der grossen Umhängetasche eines bärenhaft aussehenden Typs mit riesigen Pranken, ich sah nur eine Hand von hinten. Ich studierte noch über die Art des Tieres nach, das einen solchen Schwanz haben könnte, als mein Blick über die grosse Tasche am Rücken des Bären hinauf glitt: Von seinem Haupte fielen zwei Stränge rötlich braunen Haares über den Rücken – unter der Tasche hindurch kamen sie zusammen gerollt und verfilzt schräg nach unten zeigend wieder hervor. Das also war das unbekannte Tier! Der Bär, es handelte sich offensichtlich um einen eher ungepflegten Mann hatte die zwei Stränge etwas oberhalb der Tasche mit Lederriemchen zusammen gebunden. Wie war er denn dazu gekommen, fragte ich mich. Vielleicht hatte ihn jemand vor ein paar Monaten frisiert, sinnierte ich. Die junge Kindergärtnerin, die mir Platz gemacht hatte, schaute auch verwundert auf den interessanten Rücken. Unsere Blicke trafen sich, und wir lachten beide leise. Da hörte ich neben mir ebenfalls ein verstecktes Glucksen: ein Mann mit dem roten Turban der Inder hatte unsere Blicke bemerkt und war ihnen gefolgt. Seine Gebärde sagte, dass er nicht ganz einverstanden sei mit den Frisur Ideen des Bärenmannes. Dieser hatte offenbar bemerkt, dass er bestaunt wurde und drehte sich langsam zu uns. Dabei konnten wir sein gross flächiges, fleischiges Gesicht sehen. Er bediente sich aus einer Packung Apfelringli Bio und schob andächtig eines ums andere in den breiten Mund.
Inzwischen hatten sich die Kindergärtnerinnen verständigt sie müssten aussteigen. Flink holten sie ihre Schar zusammen. Die junge Dame, die mir Platz gemacht hatte, kehrte unter der Türe nochmals zurück und lief bis zuhinterst im Tram, um sicher zu stellen, dass man alle Kinder habe. Freundlich lächelte sie mir nochmals zu, bevor sie im letzten Moment aus dem Tram sprang.
Der Tag, wo ich zum ersten Mal wirklich eine alte Frau war, wurde so doch noch ein fröhlicher!