Gedanken zu Gesichtern

Diese Zeit mit dem Virus hat es in sich. Nicht nur kommen bei mir Ideen und Gedanken auch öfter den Tag durch und nicht nur unter der Dusche, nein diese verflixten Reminiszenzen gehen zurück in die graue Vorzeit meines aktuellen Erdenlebensl Ich weiss ja nicht, ob ich schon einmal da war, und ich wage nicht zu wissen, wo ich wieder auftauchen würde, wen ich belästigen könnte. Kommt dazu, ich weiss nicht einmal, ob ich ein Mensch wäre, eine Katze, ein Hund? Bei mir wäre ich natürlich am liebsten ein Hund, aber das scheint mir völlig unmöglich?

Lasst mich also von einem abstrusen Rückwärtsgedanken erzählen. Kürzlich jährte ich der Tag, an dem ich das allererste Mal in die Schule ging. Da kamen farbige Erinnerungen. Obwohl es noch Krieg war und Farben, sowohl für Textiles wie auch für Malssachen rationiert blieben, sehe ich noch die begehrten Farbstifte vor mir, und ich meine mich zu erinnern, dass einige der neuen Kameradinnen recht bunte Schürzen trugen.

Die klein gewachsene Lehrerin mit dem Dutt auf dem Hinterkopf jedoch, so glaube ich, war eher grau und braun, doch sie trug eine himmelblaue Schürze.

Mein Erinnerungsvermögen ist eines, die Tatsache, dass mich einige der damaligen Mitschülerinnen noch in unserem hohen Alter zu ihrem Kreis zählen, und ich sie noch immer achte, schätze und gerne habe, hilft mir, die Gesichter zu betrachten!

Da ist eines, grosse braune Augen in einem eher flächigen Gesicht, schwarze lange Zöpfe rechts und links, eine breite Stirn und ein freundlicher Mund. Ein grosses Mädchen, die Zweitgrösste der Klasse, wenn ich mich richtig erinnere. Sofort kommt mir ausser dem Gesicht die dazu gehörige Stimme in den Sinn. Unglaublich, diese tönt noch genau gleich in meinem Ohr, wenn wir miteinander telefonieren, und die ganze Erscheinung stimmt, wenn wir uns sehen! Natürlich ist diese Kameradin nie ganz aus meinem Umfeld verschwunden. Zwischendurch waren unsere Wege aber doch weit auseinander, räumlich, zeitlich und was den Bildungs- und Lebensweg betraf. Annemarie blieb immer im Ort, sie war nie im Ausland, eine Station, die für unsere Generation nach dem Krieg eigentlich zur Selbstverständlichkeit wurde. Als Kosmetikerin hatte sie eine gute Stellung gefunden. In ihrem bescheidenen Elternhaus blieb sie wohnen, und besonders nach dem frühen Tod ihres Vaters wollte sie die enge Beziehung zu ihrer Mutter nie durch eine Trennung aufs Spiel setzen. Sie hat „reich“ geheiratet, sie ist viel und weit gereist. Sie blieb sich selbst. treu. Heute muss ich um diese Frau trauern. Sie ist ihren Weg zu Ende gegangen, mutig und ohne zu jammern, ruhig, gelassen und tapfer. Ihre Stimmer, die noch immer wie in der Jugend geklungen hat, fehlt mir. In meiner Erinnerung ist sie immer noch die zweitgrösste, obwohl ihr Körper von Schmerzen gezeichnet, zuletzt äusserlich klein und dünn wurde. Sie fehlt und lässt mich unendlich traurig zurück.

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